FilmViewing – Filmmaking Kits – Licht und Gesicht
Filmen mit mobilen Geräten
Der Übungsvorschlag bringt eine dreifache Entdeckung ins Spiel: die Entdeckung von Licht, genau beobachteter Gesichter und der wesentlichen kinematografischen Entscheidungen.
Wir beginnen die Erkundung des Lichts, indem wir es aufmerksam beobachten, seine Wandlungen zu unterschiedlichen Tageszeiten und an verschiedenen Tagen, und wenn die Wetterbindungen sich ändern. Dann werden wir innehalten, um das Licht auf den Gesichtern zu beobachten. Wir werden genau hinschauen und versuchen, Wörter zu finden, die es beschreiben.
Das Licht gehört zu den Auslösern von Sinneseindrücken, und daher ist es unser vorrangiges Ziel, unser Feingefühl zu schärfen und uns in die Lage zu versetzen, mehr wahrzunehmen und die Dinge, die normalerweise übersehen werden, schätzen zu lernen. Immerhin ist das Licht das Rohmaterial des Kinos sowie das Element, dass alles um uns herum sichtbar werden lässt. Dennoch könnte die Tatsache, dass es uns stets umgibt, auch der Grund dafür sein, dass wir es fast nie als solches wahrnehmen oder uns die Zeit nehmen, uns anzusehen, wie Licht sich verändert, es sei denn, es gibt zu viel oder zu wenig davon. (So erwähnen wir beispielsweise in einer Klasse das Licht nur, wenn schlechte Lichtverhältnisse uns eine Projektion oder das Tafelbild nicht gut sehen lassen). Um unser Bewusstsein für das Licht zu verbessern und seinen Veränderungen nachspüren zu können, müssen zwei fundamentale Aspekte berücksichtigt werden: Erstens ist es notwendig, Zeit und Einsatz zu investieren, und zweitens muss nach Wörtern gesucht werden, die es ermöglichen das Licht zu beschreiben und seine Eigenschaften zu benennen. Je mehr Wörter wir zur Beschreibung des Lichtes zur Verfügung haben, umso mehr Nuancen können wir wahrnehmen. Darüber hinaus werden wir entdecken, dass wir statt technischer Begrifflichkeiten Alltagswörter benutzen, die wir uns aus anderen semantischen Feldern entleihen, und die in vielen Fällen aus dem Feld der Sinneserfahrungen stammen, so wie kaltes oder warmes, hartes oder weiches, festes oder bewegtes Licht. Sobald wir die Wörter, mit denen wir das Licht beschreiben können, benutzen, erkennen wir, dass wir häufig in binären Gegensätzen denken.
Was Gesichter betrifft, so ist ihr Wert unübertroffen, ob im alltäglichen Leben, in Gemälden oder im Kino. Wir können uns Film kaum ohne Gesichter vorstellen, und dennoch haben nicht alle Aufnahmen von Gesichtern denselben Wert und dieselbe Intensität. Genau genommen hängt der emotionale Wert dieser Aufnahme nicht einzig von der Arbeit des*der Schauspieler*in ab, sondern noch viel mehr von der Art und Weise, mit der die*der Regisseur*in die Aufnahme konstruiert hat, der Rolle, die sie in der Sequenz spielt, ihrem Verhältnis zu den anderen Aufnahmen in der Sequenz, ihrer Länge, der Belichtung des Gesichts, dem Hintergrund… Das Gesicht ist hier wesentlich, da es uns erlaubt, Zugang zu den Gefühlen des Charakters zu erhalten und die Art, mit der sie ausgedrückt werden, zu enthüllen.
Schließlich artikuliert dieser Übungsvorschlag ein reflexives Experimentieren bezüglich einiger Schlüsselentscheidungen beim Film, welche in diesem Fall direkt aus den Möglichkeiten der Kamera entstehen. So wie ein Musikinstrument bietet uns die Kamera eine unerschöpfliche Anzahl an Möglichkeiten und Wegen, auf die Welt zu blicken und sie nachzuvollziehen, verbunden mit einer Vielzahl von Formen Gefühle zu erzeugen. Je mehr wir über das Instrument und seine Möglichkeiten wissen – ob wir nun Film selbst machen oder schauen – umso reicher werden unsere Auswahlmöglichkeiten sein und umso mehr können wir als Zuschauer*innen, die Filme genießen.
Daher ist es für uns, als Zuschauer*innen und potenzielle Filmemacher*innen wichtig, die Parameter als Möglichkeiten des Ausdrucks und nicht lediglich als technische Mittel zu betrachten.
Die oben genannten Aspekte, und noch einige mehr, kommen im Übungsvorschlag „Licht und Gesicht“ ins Spiel. Scheinbar einfach und dabei doch äußerst vielfältig, ebnet er uns den Weg, die ausdrucksstarke Wirkung des Filmens eines Gesichts mit einer besonderen Aufmerksamkeit für das Licht zu erkunden.
Am Ende stellt die Übung auch eine gute Gelegenheit dar, einige der größten Künstler*innen der Kunstgeschichte, besonders Maler*innen und Fotograf*innen, kennenzulernen.
ENTWICKLUNG
Präambel
Bevor wir anfangen, mit „Licht und Gesicht“ richtig zu arbeiten, sollten wir uns ein wenig Zeit nehmen, das Licht in unserer Umgebung zu beobachten. Wir können damit anfangen, zu betrachten, wie das Licht an unterschiedlichen Momenten am Tag und bei unterschiedlichen Wetterbedingungen (an einem bewölkten Tag und an einem sonnigen Tag, an einem Regentag und wenn der Wind die Äste wiegt oder die Wolken verscheucht) in unser Klassenzimmer scheint. Beobachtet das Licht in Eurem Klassenzimmer genau, konzentriert Euch auf jedes noch so winzige Detail: Schaut Euch die Wände, den Boden, die Oberfläche des Tisches an. Versucht Wörter zu finden, um es zu beschreiben.
Dann halten wir eine Weile inne, um das Licht auf unseren Gesichtern zu betrachten. Jede*r Schüler*in sollte sich Angesicht zu Angesicht einem*r Mitschüler*in gegenüber hinsetzen. Wir schauen uns still, sorgfältig und aufmerksam an. Dann beschreibt jede*r Schüler*in das Gesicht seines*seiner Klassenkamerad*in im Detail. Wir könnten auch vorschlagen, es zu malen.
Analyse von Filmausschnitten
Wir werden einige Ausschnitte aus Filmen ansehen und kommentieren, in denen das Zusammenspiel von Gesicht und Licht sowie die Art und Weise, wie das Licht auf das Gesicht fällt, besonders ausdrucksstark sind. Wir können diesen Prozess der ästhetischen Sensibilisierung durch die Betrachtung bestimmter Gemälde und Fotografie bereichern.
Kenntnisse zur Kamera und Stativ
Wann immer möglich, sollten wir mit einer Kamera arbeiten, die auf manuellen Modus geschaltet werden kann, damit wir Belichtung, Fokus und Optik manuell einstellen können. Bevor wir uns in den kreativen Prozess begeben, nehmen wir uns ein wenig Zeit, um diese Konzepte und die Funktionsweise der Kamera zu erkunden. Das Wissen, wie man ein Werkzeug benutzt, ist bei der Entdeckung seiner Möglichkeiten von wesentlicher Bedeutung.
Dreharbeiten
Beginnen wir mit einer zuvor festgelegten Situation: Eine Person wird in einem solchen Winkel zum Fenster platziert, dass ihr Gesicht vom einfallenden Licht erhellt wird. Wir sollten Gegenlicht vermeiden und nur mit natürlichem Licht arbeiten. Wir beobachten, wie das Licht auf das Gesicht fällt. Wie ist das Licht? Was für Schatten werden aufs Gesicht geworfen? Was passiert, wenn die Person das Gesicht zur Lichtquelle dreht? Was geschieht, wenn wir schrittweise die Rollläden herunterlassen und die Vorhänge zuziehen?
Wir werden verschiedene Varianten erkunden, mit den Positionen der Figur und der Lichtquelle herumspielen und den Eigenschaften des Lichtes besondere Beachtung schenken, seiner Richtung, Intensität, Farbtemperatur, ob es hart oder weich ist, und so weiter.
Wir werden mit Aufnahmen irgendwo zwischen Halbnahe und Nahaufnahme arbeiten. Wir werden uns eher auf das Gesicht als auf seinen Bezug zum Umfeld konzentrieren (dabei vermeiden wir die Abbildung des Fensters, Doppelbelichtungen, usw.). Wir müssen sichergehen, dass im Hintergrund keine Elemente sind, die unsere Aufmerksamkeit vom Gesicht ablenken könnten, und entscheiden uns daher für einen schwach beleuchteten Hintergrund und das Gesicht im Vordergrund, welches vom Licht, das durch das Fenster einfällt, erhellt wird.
Unter Berücksichtigung der Eigenschaften des Lichts am jeweiligen Ort und zum jeweiligen Moment, in dem wir arbeiten, sollten wir als Referenz einen der Filmausschnitte auswählen, der diesen Übungsvorschlag inspiriert haben. Wir filmen mehrere Einstellungen mit unterschiedlichen Belichtungen und aus unterschiedlichen Entfernungen und vergewissern uns dabei, dass das Gesicht, oder Teile davon, teilweise beleuchtet und teilweise im Schatten sind. Wir werden eine Vielzahl ausdrucksvoller Möglichkeiten erkunden, die sich aus dem Spiel des Lichts auf dem Gesicht ergeben.
Idealerweise sollte jedes Team mindestens zwei verschiedene Einstellungen filmen und dabei eine andere Position der Person, eine andere Belichtung, usw. ausprobieren.
Sollte es die Kamera erlauben, wäre es interessant, wenn die Schüler*innen die Parameter, für die sie sich entschieden haben, aufschreiben: Optik, Blende, Fokus. Es würde ihnen dabei helfen, ihre Kenntnisse über die oben genannten Auswahlmöglichkeiten zu vertiefen und ihnen aufzeigen, welche ausdrucksvollen Effekte in verschiedenen Aufnahmen beobachtet werden können, sowohl von ihren Teams als auch von denen der Klassenkamerad*innen.
Sehen, Präsentationen und Kommentare zu den Dreharbeiten
Es wäre interessant, wenn jedes Team seine Übung den Mitschüler*innen präsentieren könnte und die jeweiligen Entscheidungen, Entdeckungen, Herausforderungen und Schwierigkeiten erklären würde. Dies ist ein sehr wichtiger Moment, da er dabei hilft, neue Fertigkeiten und neues Vokabular zu verinnerlichen. Und selbstverständlich ist es auch eine wunderbare Gelegenheit, die Einstellungen, die jeder gefilmt hat, zu feiern!
Im Anschluss des Vorschlags
Nach all den ersten Erkundungen im Team, bei denen die Schüler*innen jemanden zur Seite hatten, der ihnen mit dem manuellen Modus der Kamera half, werden wir ihnen vorschlagen, die Gesichter von Menschen, die ihnen nahestehen, zu filmen. Diesmal mit ihren Smartphones oder eigenen Kameras. Die Prämissen bleiben gleich: Sie sollten mit natürlichem Licht, welches durch das Fenster kommt, arbeiten und Halbnahe- oder Nahaufnahmen machen. Besonders wertvoll wäre es, mit älteren Menschen zu arbeiten.
ORGANISATORISCHE ASPEKTE, DIE BEIM DREH BEACHTET WERDEN SOLLTEN
Wir werden in Teams von 5 bis 7 Schüler*innen arbeiten.
Jedem Team stehen zwischen 90 Minuten und 2 Stunden zur Verfügung.
Es ist wichtig zu beachten, dass jede*r Schüler*in aktiv in die Vorbereitungen zu den Dreharbeiten eingebunden wird und die Gelegenheit hat, einmal die Kamera zu bedienen. Während der Dreharbeiten sollten wir immer hinter der Kamera bleiben.
Wir werden ohne Ton drehen, damit wir der Person, die gefilmt wird, Anweisungen geben können, zum Beispiel wenn die Person ihren Kopf drehen oder in eine bestimmte Richtung schauen soll (die Bewegungen sollten immer ruhig und kontrolliert sein). Abgesehen von diesen Anweisungen beim Dreh werden wir praktisch im Stillen arbeiten und aufmerksam sowie konzentriert hinschauen.
Wir filmen lange Einstellungen.
Da wir mehrere Filmausschnitte gesehen haben werden, wäre es interessant, wenn sich jede Schüler*innengruppe einen anderen aussucht. Wir werden uns von den Beispielen inspirieren lassen und versuchen, einen ähnlichen Beleuchtungseffekt zu erzielen. Genau diese Aufgabe und Beobachtung der ausdrucksvollen Möglichkeiten des Lichts ermutigen uns, mit der Kamera zu experimentieren und ausdrucksstarke Entscheidungen bezüglich der Eigenschaften des Lichtes, des Raumes usw. zu treffen. Es ist auch sehr wichtig, dass wir unsere Aufmerksamkeit auf den Hintergrund (alles, hinter und um die gefilmte Person) richten. Wir sollten sichergehen, dass dieser so schlicht und neutral wie möglich ist. Es lohnt sich, wenn wir nach Beendigung der Dreharbeiten uns etwas Zeit nehmen und uns Notizen über alles, was wir über die Parameter gelernt haben, machen (zum Beispiel in einer Liste namens „Entdeckungen) und unsere Erfahrungen mit anderen Gruppen besprechen.
Sehr wichtig! Die Person, die vor der Kamera platziert wurde, sollte nicht schauspielern. Er oder sie sollte weder versuchen, irgendetwas zu tun, noch ein Gefühl zu transportieren. Er oder sie ist lediglich eine Figur vor der Kamera. Wir arbeiten nicht an „Schauspielfähigkeiten“. Das Einzige, was eine Person vor der Kamera leisten soll, ist „anwesend“ zu ein.
Wir werden zutiefst beeindruckt sein, wenn wir entdecken, dass die Intensität des Ausdrucks und des Gefühls einzig aus filmischen Entscheidungen entspringen kann.
NOTWENDIGE MATERIALIEN UND AUSRÜSTUNG
Innenraum mit Fenster
Eine Videokamera oder Fotokamera mit Videomodus (wann immer möglich, sollten wir mit einer Kamera mit manuellem Modus arbeiten, die uns erlaubt, die Blende, Optik und den Fokus zu kontrollieren).
Stativ
EINIGE FILMISCHE REFERENZEN
Wir schlagen fünf Filmausschnitte vor, die darauf abzielen, unsere Sensibilität für das Licht zu erhöhen und die uns erlauben, die Entscheidungen der Filmemacher*innen, wie sie Gesichter beleuchten (oder auch nicht), zu analysieren. Wir untersuchen, ob das Licht direkt oder diffus ist, wie das Licht die Gesichter moduliert und wie diese Gesichter mit dem Licht interagieren. Ein*e Filmemacher*in wählt das Licht meistens gemeinsam mit dem Kameramann oder der Kamerafrau und entscheidet über die Regulierung, also die Art, mit der das Licht in den Raum strömt und was es in der Aufnahme erhellt. Dies sind untrennbare Entscheidungen, die gemeinsam den Eindruck der Lichtstimmung in der Aufnahme bestimmen.
Es gibt drei wichtige Entscheidungen, die zu jeder Zeit von Bedeutung sind:
- Die Qualität des gewählten Lichts: Seine Farbe und Intensität hängen von der Tageszeit und den Wetterbedingungen ab. Darüber hinaus kann das Lichts durch bestimmte Elemente zwischen der Lichtquelle und dem Gesicht diffuser gemacht werden. Wir werden uns auf seine Farbe, Textur, Richtung usw. konzentrieren. Hartes, direkt gerichtetes Licht wird dunkle Schatten und hohe Kontraste erzeugen, während diffuses oder gefiltertes, sanftes Licht nuancenreichere Kontraste und Farben erzeugt.
- Die Position eines Gesichts oder einer Figur in Beziehung zum Licht: näher oder weiter weg, dem Licht zugewendet oder von der Seite beleuchtet, usw.
- Die Position der Kamera in Relation zum Gesicht und zum Licht
Wir sollten auf all diese Entscheidungen in allen Filmausschnitten achten.
Zusätzlich zur Beobachtung des Effekts von Licht auf Gesichtern und der Analyse filmischer Entscheidungen wäre es interessant darauf hinzuweisen, dass, obwohl in diesen Filmausschnitten kaum Dialoge vorkommen, sie dennoch Empfindungen und tiefe Gefühle durch ausdrucksstarke Entscheidungen hervorrufen, ohne explizit in Wörtern oder durch das Narrativ erklärt zu werden. Wir werden uns Ausschnitte aus Dokumentar- und Spielfilmen anschauen, die besonders signifikant und relevant für den hier entwickelten Übungsvorschlag sind.
KOMMENTAR ZU DEN AUSSCHNITTEN
Elle a passé tant d’heures sous les sunlights / Sie stand so lange im Scheinwerferlichtvon Philippe Garrel (Frankreich, 1985)
Es ist ein fragmentarischer und poetischer Film, in dem Nahaufnahmen und die Erkundung von Gesichtern eine privilegierte Rolle spielen. Es ist auch ein Film über Liebe und Verlust, Tod und Geburt. Und mehr als alles andere ist es ein Film über das Kinomachen, in dem wir die Gelegenheit bekommen, an den Erfahrungen eines Regisseurs, der einen Film macht, teilzuhaben.
Wir schlagen vor, mit dem Schauen dieses Filmausschnitts zu beginnen, da er genau die Situation, in der wir drehen werden, zeigt, auch wenn es in diesem Fall zwei Personen gibt. Sie beide stehen neben einem Fenster, sie ist von der Seite zu sehen, anfangs fast mit dem Rücken zur Lichtquelle, und er ist zum Fenster gewandt. Das Fenster ist lediglich eine Lichtquelle, wir können nichts von einem Draußen sehen. In der Tat gibt es kaum einen visuellen Bezug zum Raum. Im Kontrast dazu hat der Ton, der die Unterhaltung zwischen den Figuren verbirgt, eine sehr reale und konkrete räumliche Präsenz.
Wir fangen damit an, das Licht zu beschreiben. Welche Eigenschaften hat es? Wir werden sehen, dass es weich, fleckig und diffus ist; es schlägt keine Schatten und zeichnet sich nicht auf den Gesichtern ab. Es ist ein eher kaltes, weißliches Licht; es sieht winterlich aus.
Wir halten einen Moment inne, um uns speziell auf zwei Aufnahmen zu konzentrieren, da sie uns erlauben, die Veränderungen des Gesichtes im Verhältnis zu den Wandlungen des einströmenden Lichts, welches durch die Bewegungen der Schauspielerin verursacht werden, zu beobachten: Wie sieht ihr Gesicht zu Beginn der ersten Einstellung aus, wenn sie zur von uns aus rechten Seite schaut? Wie verändert es sich, wenn sie ihren Kopf neigt? Und wie, wenn sie zum Fenster schaut? Wir können einen kinematografischen Begriff benutzen, um es zu beschreiben und sagen, dass ihr Gesicht das Licht „auffängt“. Es ist außerdem schön zu beobachten, wie das Licht von ihrem Haar reflektiert wird und wie es in ihren Augen funkelt. Diese Aufnahmen sind voller Nuancen und subtiler Variationen! Es könnte interessant sein, einige Standbilder anzufertigen und die Veränderungen von Licht und Gesicht auf diesen zu vergleichen.
Wie könnten wir das Licht auf dem Gesicht der Schauspielerin beschreiben? Vielleicht können wir auch sagen, dass es intensiver, direkter und flacher ist.
Wir können erkennen, dass es sich um Nahaufnahmen handelt, die mit einer mittleren Optik (sicherlich die eines 50-mm-Optikivs oder etwas mehr, ähnlich einem Teleobjektiv) und einer sehr geringen Schärfentiefe gedreht wurden: Der Fokus liegt auf einem kleinen Bereich der Aufnahme. Wir können es direkt mit ihrer ersten Nahaufnahme beginnen zu analysieren: Während ihre Nase, Wangen, Augenbrauen und Haare gut fokussiert sind, ist schon die Linie ihrer Schulter verschwommen. Und alles, was die Figur umgibt, ist im „Fluss“, einem Bereich ohne Referenz, total verschwommen.
La Reconquista/ The Reconquestvon Jonás Trueba (Spanien 2016)
Manuela und Olmo treffen sich nach vielen Jahren. Der Film spielt in zwei Zeitperioden: In der Gegenwart, im Winter, sind Olmo und Manuela in ihren Dreißigern; in der Vergangenheit, im Sommer vor fünfzehn Jahren, verlieben sie sich zum ersten Mal.
Dieser Ausschnitt zeigt den Moment, an dem Manuela über einen Brief, den sie an Olmo schreibt, nachdenkt, und in dem sie erklärt, warum sie fühlt, dass sie nicht mehr zusammen sein können. In zwei Einstellungen im Raum sehen und spüren wir das Verstreichen der Zeit. Von einer Einstellung zur nächsten verändert sich subtil der Ton des Lichts. Diese beiden Einstellungen zeichnen sich durch eine große Behutsamkeit aus, sie verlangen von uns, unsere Aufmerksamkeit zu schärfen, da wir nur so in der Lage sind, alle Nuancen zu erkennen. In der ersten Einstellung können wir sehen, wie das Licht Manuelas Silhouette ausschneidet und ihr Auge hinter der Nase anleuchtet, während die Hälfte ihres Gesichts, die näher zur Kamera steht, im Schatten bleibt. Auf eine gewisse Weise wird sie von diesem Licht, das ihre Silhouette abzeichnet und von ihrem Haar, welches ebenfalls vom Licht ausgeschnitten wird, umrahmt.
In der zweiten Einstellung ist das Licht kälter und diffuser. Wir können außerdem eine leichte Variation sehen, die durch Manuelas Rückwärtsbewegung beim Zurücklehnen im Stuhl verursacht wird. Diese leichte Veränderung wirft einen Schatten auf ihre Wange und die Dunkelheit ihres Gesichtes scheint die Betonung des Funkelns in ihrem Auge noch zu verstärken.
Dokumente über die Entstehung des Films gibt es auf Inside Cinema.
D’Est / Von Osten vonChantal Akerman (Belgien, Frankreich, Portugal, 1993)
In Von Osten dokumentiert Chantal Akerman eine Reise von Ostdeutschland nach Moskau durch die baltischen Staaten und Polen, wo die angestammten Orte und Landschaften ihrer Familie liegen. Die Filmemacherin filmt vom Ende des Sommers bis in den harschen Winter. In ihren eigenen Worten: „alles, was sich langsam während der Reise verändert: die Gesichter und die Landschaften“. Der ganze Film besteht aus langen Einstellungen, die während der Reise gefilmt wurden (immer von rechts nach links) und aus festen Einstellungen, meist Porträts und das Innere von Häusern. Dies ist auch der Fall bei diesem Porträt, das aus nur einer Einstellung besteht: einer Frau an einem Tisch, die gerade einen Kaffee mit der Filmemacherin getrunken hatte. Warmes Licht strömt durchs Fenster. Die Komposition ist meisterlich, fast bildhaft.
Welche Farbe hat das Licht? Wie würden wir seine Intensität und Textur beschreiben? An welcher Position steht wohl die Sonne am Himmel? Können wir intuitiv sagen, zu welcher Tageszeit diese Einstellung gefilmt wurde?
Wir beschäftigen uns hier mit einem Porträt im Kontext: Wir sehen die Figur in ihrem Heim, umgeben von ihren persönlichen Besitztümern.
Was wird vom Licht, welches durch das Fenster kommt, am stärksten erhellt? Was bleibt im Schatten? Es wäre toll, unsere Aufmerksamkeit zum Beispiel auf das Schimmern des Rings zu konzentrieren, während die Hand auf dem Tisch mit seiner leuchtend weißen Tischdecke ruht.
Genauso interessant wäre es, zu beobachten, wie die Wärme und gleichzeitige Weichheit des Lichts die Einstellung in einem vertrauten und angenehm ruhigen und friedlichen Ton badet und ihr so Intimität verleiht.
Neben der Arbeit mit dem Licht, ist die Rolle der Kamera, die im Verhältnis zur Person leicht erhöht steht, erwähnungswürdig. Der Standpunkt erlaubt es uns, fast den ganzen Tisch inklusive zwei Kaffeetassen zu sehen, die auf bestimmte Weise auf die Unterhaltung und den gemeinsam verbrachten Nachmittag der porträtierten Frau und der Filmemacherin verweisen. Genauso wertvoll ist es, alle anderen Elemente im Raum gründlich zu untersuchen: Möbel, Lampe, das riesige Radio, Fenster, Pflanzen.
Nachdem wir den Ausschnitt betrachtet und kommentiert haben, können wir uns fragen, von wem wir gern ein ähnliches Porträt machen würden. Wo würden wir es filmen? Und zu welcher Tageszeit?
De weg naar het zuiden / Der Weg nach dem Süden, von Johan van der Keuken (Niederlande, 1981)
In Der Weg nach dem Südenreist von der Keuken von Amsterdam nach Kairo und kommt dabei durch Paris, Drôme, Rom und Kalabrien. Auf dem Weg sammelt der Filmemacher Bilder von den Orten und Menschen, die er sieht.
In diesem Filmausschnitt erschafft van der Keuken ein Porträt von Alí im Zug aus Paris. Er war wegen eines Motorradunfalls krankgeschrieben und ist jetzt auf seinem Weg zurück zu seiner Arbeit in einer Autofabrik am Stadtrand.
Das Porträt befindet sich in stetiger Bewegung und das Licht variiert während der Einstellung, wodurch sich das Gesicht des Porträtierten verändert. Wir könnten jede der drei Einstellungen aufmerksam untersuchen und dabei auf die Dritte ein besonderes Auge werfen: Eine kostbare Einstellung, eine noch extremere Nahaufnahme, in der Licht immer wieder unterbrochen wird (intensive Goldtöne der Morgendämmerung wechseln sich ab mit völliger Dunkelheit) und das Gesicht und die Einstellung so verwandeln. Der Ton verstärkt die Emotion des Porträts. Wir können auch versuchen, Adjektive, die das Licht beschreiben, zu finden: golden, warm, unterbrochen, sanft usw.
Es ist besonders interessant, die Stimme des Filmemachers, die wir zu Beginn hören können, zu analysieren. In nur zwei kurzen und einfachen Sätzen drückt er die Bedeutung aus, die es für ihn als Filmemacher und Alí hat, zu dieser Tageszeit, an diesem Zeitpunkt unterwegs zu sein: „Der erste Zug des Tages. Alí geht einmal mehr zur Arbeit“.
Tout est pardonné / All Is Forgiven,von Mia Hansen-Løve (Frankreich, 2007)
Nachdem sie zehn Jahre nichts von ihrem Vater gehört hat, trifft Pamela (das Mädchen mit dem gewellten Haar) ihn endlich wieder. Sie geht mit einer Freundin. Nach einem Spaziergang in einem botanischen Garten nehmen sie den Skytrain nach Hause. Während der Fahrt schweigen sie, in ihre Gedanken versunken.
Einstellungen von ihnen wechseln sich mit Außenaufnahmen ab: Zuschauer*innen, die Paris kennen werden vermutlich die Metrostrecke erkennen. Es ist die Line 6, die die Seine zwischen dem Quai de la Gare und Bercy überquert.
Ähnlich wie beim Porträt von Alí ist das Licht hier intensiv und golden, obwohl es diesmal vom Sonnenuntergang stammt und die Schatten bläulicher sind. Auch hier spielt wechselndes Licht und Schatten eine wichtige Rolle, fast so als wären es Herzschläge, die filmisch mit dem inneren Zustand der Hauptfigur, die gerade ihren Vater getroffen hat, korrespondiert.
Es ist interessant, ein breites Spektrum an Einstellungen zu sehen und zu beobachten, wie sich das Licht wandelt, wenn die Metro ihre Position im Verhältnis zur Sonne verändert, welche so niedrig steht, dass sie für einen Moment nur die Figuren der Hauptprotagonistinnen beleuchtet. Für eine kurze Weile, wie am Anfang, glüht das Licht in einer fast orangenen Farbe in ihren Haaren. Zu anderen Zeiten strahlt das Licht direkt auf sie und badet ihre Gesichter.
Ein besonders intensiver Moment ist jener, in der zwei Metros aneinander vorbeifahren. Es entsteht ein sehr besonderer Rhythmus von Bewegung und Licht.
In einem Interview erklärte Mia Hansen-Løve, dass sie diese Sequenz in weniger als einer halben Stunde gedreht hat und dabei dieselbe Route mehrmals hin und her gefahren ist. Da sie keine Drehgenehmigung hatten, mussten sie schnell und diskret arbeiten. Es war ihr sehr wichtig, die Metrostrecke über der Seine, die sie selbst oft befahren hatte, zu filmen. Zu einem gewissen Grad ist dies die Strecke, in der ihre Leidenschaft, Filmemacherin zu werden, geboren wurde: Beim Blick aus dem Fenster auf die Welt, die zu unterschiedlichen Tageszeiten und bei unterschiedlichem Licht vorbeizieht, beim Ausmalen von Geschichten der Leute, die mit ihr im selben Metrowaggon fuhren.
VERSCHIEDENE BILDLICHE UND FOTOGRAFISCHE REFERENZEN
Ein wunderbares Buch, besonders geeignet für die Arbeit mit Schüler*innen in der Mittel- bis Oberstufe, ist Johan van der Keukens Wir sind 17: Ein Fotoprojekt, das der große Filmemacher unternahm, als er genauso alt war, und in dem er Porträts in seinem Freundeskreis machte.
Ein anderes interessantes Fotoprojekt ist Raymond Depardons La terre des paysans(Das Land der Bauern). Die bildhaften Porträts des Fotografen Pierre Gonnord können ebenfalls als Inspirationsquelle fungieren.
In der Welt der Malerei wäre es interessant das Werk von Künstlern wie Rembrandt, Caravaggio und Vermeer zu analysieren.
EINIGE BEISPIELE VON MOVING CINEMA WORKSHOPS
MIT PROFESSIONELLER KAMERA
Gefilmt von einer Gruppe von 14-15 jährigen Schüler*innen vom Oriarte Institutoa(Lasarte, Baskenland)
Gefilmt von einer Gruppe von 14-15 jährigen Schüler*innen vom Institut Barres i Ones (Badalona, Katalonien)
Gefilmt von einer Gruppe von 16-17 jährigen Schüler*innen vom Institut Moisés Broggi (Barcelona, Katalonien)
Gefilmt von einer Gruppe von 12-13 jährigen Schüler*innen vom Institut Montjuïc (Barcelona, Katalonien)
Gefilmt von einer Gruppe von 16-17 jährigen Schüler*innen vom Institut Moisés Broggi (Barcelona, Katalonien)
Gefilmt von einer Gruppe von 16-17 jährigen Schüler*innen vom Institut Moisés Broggi (Barcelona, Katalonien)
Gefilmt von einer Gruppe von 14-15 jährigen Schüler*innen vom Institut Maria Espinalt (Barcelona, Katalonien)
MIT HANDYS ODER KLEINER KAMERA
Gefilmt von einer 14 jährigen Schülerin von 14-15 jährigen Schüler*innen vom Institut Moisés Broggi (Barcelona, Katalonien)
Gefilmt von einer Gruppe von 14-15 jährigen Schüler*innen vom Institut Montjuïc (Barcelona, Katalonien)
Gefilmt von einer Gruppe von 16-17 jährigen Schüler*innen vomAnykščiai Jonas Biliūnas gymnasium (Anykščiai, Litauen)
Gefilmt von einer Gruppe von 16-17 jährigen Schüler*innen vomAnykščiai Jonas Biliūnas gymnasium (Anykščiai, Litauen)
Films
EINIGE FILME VON JUNGEN KURATOREN VERBINDET MIT DIESEM KIT
Les quatre-cents coups / Sie küßten und sie schlugen ihn, François Truffaut (Frankreich, 1959)
Un violent désir de bonheur / A Violent Desire for Joy, Clément Schneider (Frankreich 2018)
Le Havre, Aki Kaurismäki (Finnland, Frankreich, Deutschland, 2011)
Låt den rätte komma in / So finster die Nacht, Tomas Alfredson (Schweden, 2008)
Il Posto / The job, Ermano Olmi (Italien, 1961)
Medena zemja / Honeyland, Ljubomir Stefanov and Tamara Kotevska (Nord Mazedonien, 2019)